Bedeutung der ausserordentlichen Bewahrung Jesu beim Jüngsten Gericht
- kesfetmekursu
- 6. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Aug.

In Maide 5:110, wird die Bewahrung Jesu vor aufgebrachten Juden als fünfte Gnade Allahs an Jesus erwähnt: "... und wie Ich die Kinder Israels von dir abhielt, als du mit deutlichen Zeichen zu ihnen kamest ...".
Muslimische Exegeten interpretieren diese Passage als eine Anspielung auf die Abberufung Jesu von der Erde. ‘Gott erinnert Jesus weiter an Seine Gnaden, als Er ihm Seinen Schutz vor den Israeliten gewährte, die, als er all diese Wunder vollbrachte, ihn leugneten und behaupteten, es handele sich um reine Zauberei. ... Gott beschützte ihn, und sie konnten ihn nicht töten oder kreuzigen, wie sie es gerne getan hätten. Gott nahm ihn einfach zu sich und erhob ihn zu sich.’1 Das heißt, sie verstehen, dass Allah die Kinder Israels von Jesus abhalten ließ, indem Er Jesus von der Erde wegnahm und sie unwissentlich einen anderen, den sie für Jesus hielten, an seiner Stelle kreuzigten. Das entspricht der Stellvertreter-Theorie (Substitution-Theorie). Gott hat nicht die Juden gestoppt, sondern Jesus vor ihrer Nase weggeschnappt.
Meiner Ansicht nach sprechen einige Gründe gegen diese Auslegung:
- Das hier verwendete Wort ‘abhalten’ (kefeftu) bedeutet ‘mit der Hand schlagen’ oder ‘wegschieben’ und kann auch ‘das Stossen / Unwirksammachen einer Person mit der Hand oder auf andere Weise’ bedeuten.2 Aufgrund dieser Wortbedeutung muss Allahs Vorgehen als aktives Abhalten der Kinder Israels verstanden werden. Würde man die Substitutionstheorie in diese Stelle hineinlesen, wäre Allah nicht aktiv gegen die Kinder Israels, die ja ungehindert weiter töteten – nur nicht Jesus, sondern jemanden, der Jesus glich. Um dieser Wortwahl gerecht zu werden, suchen wir eine Begebenheit, in der Allah die Kinder Israels aktiv davon abhält, Jesus etwas anzutun.
- Dass es hier nicht um die Bewahrung Jesu vor dem von Gott geplanten Tod (siehe Al-i Imran 3:55) handelt, wird dadurch klar, dass nur einige Verse später in Maide 5:117 auch ausdrücklich von diesem Tod die Rede ist: ‘... Und ich war ihr Zeuge, solange ich unter ihnen weilte, doch seit Du mich sterben ließest, bist Du der Wächter über sie gewesen ...’ (Ahmadeyya). Es wurde bereits festgestellt, dass es sich bei dieser Anspielung auf Jesu Sterben in Maide 5:117 nicht um ein Ereignis am Ende der Weltgeschichte handeln kann, da Jesus sonst bis zu seinem Tod Zeuge über seine Nachfolger gewesen wäre, d. h. während der ganzen Weltzeit. Damit steht fest, dass v. 110 auf frühere Angriffe der Juden auf Jesus anspielt, die vor den Ereignissen im Zusammenhang mit Jesu Tod stattfanden. Diese Angriffe wurden allerdings von Gott vereitelt, sodass Jesus vorerst bewahrt blieb.
- Wie in den Blogs der Kategorie „Jesu Abberufung von der Erde” bereits ausführlich erörtert, unterstützt der Koran die muslimische Abberufungstheorie der Substitution nicht, sondern verteidigt vielmehr die christliche Sicht des Todes Jesu am Kreuz. Die von vielen muslimischen Auslegern im Zusammenhang mit Maide 5:110 vorgeschlagene Auslegung des Textes widerspricht dem Gesamtzeugnis des Korans bezüglich Jesu Abberufung von der Erde, weshalb sie nicht akzeptiert werden kann.
Es bleibt uns also, eine alternative Interpretation für diese Stelle zu finden. Eine, in der Allah aktiver gegen die Kinder Israels vorgeht, die sich auf Vorkommnisse während der Lebenszeit Jesu bezieht und mit dem Tod Jesu am Kreuz in Übereinstimmung steht.
Allah bewahrt Jesus vor den Angriffen der Kinder Israels
Im Evangelium lesen wir immer wieder, wie Gott Jesus aus den Händen der Juden errettete. Ein Beispiel hierfür ist Lukas 4:22-30, als Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth predigte. Seine Zuhörer verlangten ein Wunder, wie er es zuvor in der Nachbarstadt vollbracht hatte. Jesus weigert sich jedoch, eine Wundertat zur Schau zu stellen.
‘Und alle, die in der Synagoge waren, wurden von Zorn erfüllt, als sie das hörten. Und sie standen auf und stießen ihn [Jesus] zur Stadt hinaus und führten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen. Aber er ging mitten durch sie hinweg.’ (Lukas 4:28-30).

Ganz wie in Maide 5:110 beschrieben, hielt irgend eine Kraft die Juden in Nazareth davon ab, Jesus den Abhang hinunterzustürzen – man könnte auch interpretieren, Allah hielt sie davon ab, ihren Plan umzusetzen. Insgesamt berichtet das Evangelium von acht misslungenen Versuchen der Juden, Jesus zu töten (neben dem oben erwähnten Versuch auch noch: Matthäus 12:1–14; Markus 2:23–3:6; Lukas 6:1–11; Johannes 5:1–18; Johannes 7:32, 44; Johannes 8:48–59; Johannes 10:31–39; Johannes 11:45–57; Markus 11:15–18; Lukas 19:45–48; Matthäus 21:33–46; Markus 12:1–12; Lukas 20:9–19).
Nach der Heilung eines seit 38 Jahren kranken Mannes durch Jesus beschlossen die jüdischen religiösen Leiter, Jesus zu töten (Joh. 5:18). Einige Zeit später sandten die jüdischen Leiter Knechte aus, um Jesus zu ergreifen (Joh. 7:32). Sie waren von Jesu Rede so begeistert, dass sie unverrichteter Dinge wieder abzogen und lieber die Kritik ihrer Vorgesetzten ertrugen, als Jesus etwas anzutun (Joh. 7:44–49). Gott schafft aktive Begeisterung bei den Knechten und hält damit ihre Vorgesetzten vorerst davon ab, Jesus etwas anzutun.
Nach einer späteren Auseinandersetzung hoben einige Juden im Tempel ‘Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus’ (Joh. 8:59). In diesem Fall hält Gott die Juden aktiv davon ab, den verborgenen Jesus zu finden.
Bei einer weiteren späteren Begegnung heben die Juden ‘abermals Steine auf, um ihn zu steinigen’ (Joh. 10:32). Jesus erreichte durch Argumentation, dass sie die Steine wieder fallen liessen. Trotzdem ‘... suchten sie abermals, ihn zu ergreifen. Aber er entging ihren Händen’ (Joh.10:39). Gott hielt die Gegner Jesu aktiv davon ab, ihn zu ergreifen.
Nach der Auferweckung des vier Tage tot im Grab liegenden Lazarus durch Jesus beschlossen die Juden, Jesus erneut zu töten:
‘Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer einen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn gewähren, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Tempel und Volk. Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in diesem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in diesem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten (Joh.11:47-53).
Allah vereitelte diese Anschläge der Kinder Israels jedes Mal bis zu dem von Gott bestimmten Zeitpunkt, an dem Jesus nach seinem Plan am Kreuz getötet werden sollte: ‘Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn [durch den Tod am Kreuz] verherrlicht werde’ (Joh. 12:23). Erst als es Allah passend erschien, gelang es den Juden, Jesus durch die Hand der Römer kreuzigen zu lassen.
Dieser Exkurs belegt, dass Allah die Kinder Israels viele Male davon abgehalten hat, Jesus etwas anzutun. Diese Gnade steht allerdings nicht im Widerspruch zur Tatsache, dass diese Kinder Israels Jesus letztlich durch die Römer kreuzigen ließen und dabei Allahs eigentlichen Plan umsetzten (Al-i Imran 3:54). In jedem dieser Fälle ist Gottes Eingreifen aktiv auf die Abhaltung der Kinder Israels gerichtet. Mithilfe des Evangeliums ist es also möglich, eine alternative Interpretation dieser Worte in Maide 5:110 zu finden, die mit dem Gesamtzeugnis des Korans übereinstimmt und von der Substitutionstheorie abweicht.
Bedeutung der ausserordentlichen Bewahrung Jesu beim Jüngsten Gericht
Es stellt sich nun noch die Frage nach der Bedeutung der ausserordentlichen Bewahrung Jesu beim Jüngsten Gericht. Warum erwähnt sie Allah bei dieser Gelegenheit als Jesus gegenüber erwiesene Gnade?
Im Evangelium finden wir an zwei Stellen die Antwort auf diese Frage:
- ‘Da suchten sie ihn zu ergreifen; aber niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen’ (Joh. 7:30).
- ‘Diese Worte redete Jesus ... im Tempel; und niemand ergriff ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen’ (Joh. 8:20).
Erst als die „Stunde” Jesu gekommen war, konnten die Kinder Israels ihn ergreifen und verurteilen lassen (Joh. 12:23 ff.). Unmittelbar vor seiner Verhaftung bestätigt Jesus noch einmal, dass seine Stunde nun wirklich gekommen sei (Joh. 17:1).
Mit der Erwähnung von Jesu Bewahrung vor den Juden weist Allah demgemäß darauf hin, dass nichts in Jesu Leben geschah, was nicht von Gott minutiös geplant war. Nur Allahs Plan wurde in Jesu Leben erfüllt, kein Mensch konnte dazwischenfunken. Die Juden zur Zeit Mohammeds prahlten: ‘Siehe, wir haben den Christus Jesus, Sohn der Maria, getötet, (der) ein Gesandter Gottes (zu sein behauptete)! ...’ (Nisa 4:157; Muhamad Asad). Dem hält Allah beim Jüngsten Gericht entgegen: „Ihr konntet Jesus nichts antun, außer ich erteilte euch meine ausdrückliche Erlaubnis“. Und auf Satans Zweifel, ob Jesus wirklich Gottes auserwählter Messias sein könne, da Gott ihn womöglich nicht vor Unheil bewahren würde (siehe Mt. 4:5–7), erwidert Allah beim Jüngsten Gericht, dass er seinen Messias sehr wohl

vor allen äußeren, menschlichen Angriffen bewahrt hat: ‘Er [Gott] wird seinen Engeln für dich [den Messias] Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt’ (Mt. 5:6 zitiert aus Ps. 91:12).
Mit der Erwähnung dieser Gnade bestätigt Allah einmal mehr, dass Jesus sein auserwählter Messias ist. Weder Satans Zweifel noch die Prahlerei der Juden erweisen sich als bedeutungsvoll. Nur Allahs Plan hat sich in jedem Bereich von Jesu Leben und Tun vollständig erfüllt und durchgesetzt.
1 Sayyid Qutub, In the Shade of the Quran, s. 1337. Siehe auch Fahreddin Er Razi, Vol. 9, s. 281 in https://archive.org/details/tefsir-fahreddin-er-razi-17.-cilt/Tefsir-Fahreddin-Er-Razi-09.Cilt_/page/n281/mode/2up (besucht, 04/08/2025);
2 Siehe Worterklaerung ‹k-f-f› in Râgıb el-İsfehânî'nin el-Müfredât fî Garîbi'l Kur'ân eserinde;K-f-f - ك ف ف in https://www.kuranmeali.com/Aciklama.php?id=1251&islem=mufredat&kok=%D9%83%20%D9%81%20%D9%81 (besucht, 04/8/2025).

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