Bedeutung der außerordentlichen Wunder Jesu beim Jüngsten Gericht
- kesfetmekursu
- 4. Aug.
- 17 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Aug.

Wir folgen der Aufzählung der Gnaden, die Allah Jesus im Leben erwiesen hat, wie sie im Jüngsten Gericht eine nach der anderen vor allen versammelten Gesandten Gottes hervorgehoben werden (Maide 5:110). Zunächst ist da die Gnade der außerordentlichen Zeugung und Geburt Jesu, dann die Gnade der Stärkung Jesu mit dem Ruhu-l Kudüs, dann die Gnade der allumfassenden Offenbarung, die Allah Jesus persönlich lehrte. Schließlich kommen wir zur Gnade der Wundertaten, die Allah Jesus während seiner Lebenszeit ausführen ließ.
‘... und (damals) als du mit meiner Erlaubnis aus Lehm etwas schufst, was so aussah wie Vögel, und in sie hineinbliesest, so daß sie mit meiner Erlaubnis (schließlich wirkliche) Vögel waren, und (als du) mit meiner Erlaubnis Blinde und Aussätzige heiltest, und als du mit meiner Erlaubnis Tote (aus dem Grab wieder) herauskommen ließest, und (damals) als ich die Kinder Israel von dir zurückhielt (so daß sie dir nichts anhaben konnten), als du mit den klaren Beweisen (baiyinaat) zu ihnen kamst, worauf diejenigen von ihnen, die ungläubig waren, sagten: "Das ist ganz offensichtlich Zauberei."’
Bedeutung der außerordentlichen Wunder Jesu beim Jüngsten Gericht gemäß muslimischer Exegeten
Wir fragen uns, welche Bedeutung die Hervorhebung dieser Gnade beim Jüngsten Gericht hat. Weshalb ist es für Allah wichtig, diese Jesus gewährten Wunder gerade zum Zeitpunkt des Beginns der zweiten Schöpfung in Erinnerung zu rufen? Wie beantworten muslimische Ausleger diese Frage?
Unter muslimischen Auslegern besteht kein Zweifel: Diese Wunder, die Gott Jesus zugestand, sind einmalig. ‘Gott erlaubte Jesus mehrere wunderbare Dinge zu tun, die kein Mensch ohne Gottes Unterstützung vollbringen könnte.’1 Allerdings dauert es in den Auslegungswerken zu Maide 5:110 (und Al-i Imran 3:49) nicht lange, bis auch zur Vorsicht im Bezug auf die erzählten Wunder aufgerufen wird. Christen sollen aufgrund der Einmaligkeit dieser Wunder der Versuchung erliegen, Jesus Gottheit zuzuschreiben. Zur Vorbeugung gegen diese „falsche” Schlussfolgerung wird im Koran im Zusammenhang mit jedem erwähnten Wunder auch gleich der Nachsatz „mit Gottes Erlaubnis” angefügt.2 Die oft repetierte Formel „mit meiner Erlaubnis” wird also negativ, einschränkend verstanden. Ihrer Meinung nach will Gott mit dieser Erwähnung beim Jüngsten Gericht betonen, dass Jesus diese außerordentlichen Wunder nicht aus eigener Kraft tun konnte, sondern nur in Abhängigkeit von Gott. Sie sind daher nicht eine Aussage über Jesus, sondern weisen auf Allahs Macht hin. Die benötigte Kraft und Autorität kommen nicht aus Jesu Wesen, es handelt sich also nicht um eine ontologische Aussage über ihn, sondern sie werden ihm nur funktional für ausgewählte Situationen von Gott zugestanden. Die Ehre gehört daher Allah, nicht Jesus.
Muslimische Ausleger sehen Gottes Absicht dabei darin, Jesus vor seinen Zuhörern als wahren Propheten auszuzeichnen und gleichzeitig die Jungfrauengeburt durch diese Zeichen als glaubwürdig zu unterstützen.3 Muslimische Exegeten erfassen die Bedeutung der außerordentlichen Wunder Jesu beim Jüngsten Gericht vorwiegend negativ. Sie sehen ihre Bedeutung darin, die überzogenen christlichen Schlussfolgerungen aus diesen Wundern zu korrigieren. Daraus dürfe nicht der übertriebene Schluss auf Jesu Göttlichkeit gezogen werden. Allah betont deshalb ausdrücklich, dass Jesus keines dieser Wunder aus sich selbst getan hat, sondern dass er ausschließlich dafür von Gott bevollmächtigt wurde. All diese Wunder geschahen „nur” mit Allahs ausdrücklicher Erlaubnis. Alle, die aufgrund dieser Wunder Jesus Göttlichkeit zugedichtet haben, werden beim Jüngsten Gericht eines Besseren belehrt. Die Erwähnung der Jesus zugestandenen Wunder beim Jüngsten Gericht ist die Gerichtsankündigung für Christen.
Was ist die Stoßrichtung der wiederholten Betonung „mit meiner Erlaubnis”?
Zunächst muss eingeräumt werden, dass auch das Evangelium betont, dass Jesus seine außerordentlichen Wunder in Abhängigkeit von Gott gewirkt hat. Jesus beteuert: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn“ (Johannes 5:19). Bei der Heilung eines gelähmten Mannes nutzt Jesus seine Heilungsvollmacht, um den Anwesenden zu beweisen, dass ihm von Gott die Vollmacht zur Sündenvergebung gegeben wurde: „Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden“ (Markus 2:10). Jesus betont, dass dem „Menschensohn“, wie in Daniel 7:9–14 angekündigt, alle in den Wundern ausgedrückte Vollmacht von Gott übergeben wurde. Bei der Betonung von Gottes spezieller Erlaubnis an Jesus einmalige Wunder zu wirken, stimmt der Koran mit dem Evangelium überein.
Dennoch scheint die Erwähnung von Jesu Wundern beim letzten Gericht nicht in die von muslimischen Auslegern vorgeschlagene Richtung zu deuten. Diese geht davon aus, dass die wiederholte Feststellung „mit Allahs Erlaubnis” speziell den Christen gilt. Wie an anderer Stelle bereits angedeutet, bezieht sich die wiederholte Erwähnung einer ausdrücklich göttlichen Erlaubnis für die von Jesus gewirkten Wunder in diesem Text jedoch weder auf den falschen Glauben der Christen noch auf die oben ausgeführte Differenzierung zwischen ontologischer und funktionaler Bevollmächtigung. Der unmittelbare Kontext, in dem die Wunder erzählt werden, hilft, die wiederholte Erwähnung von Gottes Jesus gewährten Erlaubnis besser einzuordnen.
Die Erwähnung dieser Zeichen findet im positiven Kontext der von Gott Jesus erwiesenen Gnade statt. Nach einer Auffassung, wie sie von muslimischen Auslegern vertreten wird, müsste man schließen, dass Gottes Gnadenerweise wegen der falschen Auffassung der Christen schlussendlich negative Konsequenzen hatten. Anstatt in den Wundern Gottes Gnade zu erkennen, werden die Wunder zum Gegenteil: gefährlichen Todesfallen, die die Rezipienten zur Sünde der Vergötterung Jesu verführen. In den bisher erwähnten Gnaden – Jesu Empfängnis und Geburt, Jesu Stärkung mit dem Ruhu’l Kudüs und den Empfang der allumfassende Offenbarung – lassen sich keine solchen negativen Anzeichen finden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die positive Note plötzlich negativ enden soll: „Ich habe dir zwar Gnade erwiesen, aber bei weitem nicht in einem solchen Ausmaß, wie die Christen annehmen.”

Im unmittelbar folgenden Nachsatz gibt der Koran selbst die Stoßrichtung an: Die ungläubigen Kinder Israel sagten: „Das ist ganz offensichtlich Zauberei.“ Das hier mit „Zauberei” oder „Magie” übersetzte Wort (sihrun) bedeutet auch „List, Täuschung; Werk, dessen Ursache verborgen bleibt”. Zur Ausführung der List oder Täuschung können von der Wortbedeutung her zum Beispiel Taschenspielertricks oder anderweitige Betrügereien verwendet werden. Dabei kann sogar mit dem Teufel oder bösen Geistern Kontakt aufgenommen werden, um von ihnen bei der Durchführung Hilfe zu erhalten.4 Das bedeutet, dass gemäß dem Koran die Juden Jesus beschuldigen, ein sehr mächtiger Magier und Zauberer gewesen zu sein, der selbst vor der Zusammenarbeit mit dem Teufel nicht zurückschreckte, um die in Maide 5:110 erwähnten Wundertaten auszuführen.5
Bereits im Evangelium finden sich Hinweise auf die Vorwürfe der Juden gegen Jesus: „Die Schriftgelehrten aber, die von Jerusalem herabgekommen waren, sprachen: Er hat den Beelzebul und: Durch den Obersten der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ (Markus 3:22). Der Beelzebul wird dabei wohl als „oberster Teufel (in der Gestalt einer Fliege)” verstanden und ist in diesem Zusammenhang als „Schimpfwort der Juden für Jesus” zu deuten..6
Wie bereits erwähnt, zeigt Schäffer in seinem Buch „Jesus im Talmud” auf, dass sowohl aus dem Talmud7 als auch aus anderen Quellen8 bekannt ist, dass gewisse Juden Jesus der Zauberei beschuldigten, um ihn als Messias zu diskreditieren. Gemäß dieser jüdischen Ansicht sind die Wunder Jesu kein Zeichen für seine Sendung von Gott, sondern beweisen, dass Jesus ein Scharlatan war, der nicht davor zurückschreckte, von der von Gott verbotenen Magie9 Gebrauch zu machen, um die Israeliten bezüglich seiner Messianität zu täuschen.
In bewusster Konfrontation zu diesem falschen jüdischen Vorurteil betont der Koran bei der Erwähnung jedes Wunders, dass Jesus keine Magie verwendete, sondern vollumfänglich innerhalb von Gottes expliziter Erlaubnis handelte. Allah stellt also beim Jüngsten Gericht klar: „Es war keine Magie im Spiel, es war keine Zauberei, mit der Jesus Wunder vollbrachte. Im Gegenteil, diese Wunder führte Jesus mit ausdrücklicher Erlaubnis von Gott aus.”
Anstatt eine im Text nicht vorhandene Kritik an den Christen hineinzulesen, ist es naheliegender, die im Text erwähnte und von verschiedenen Quellen unterstützte falsche Anschuldigung der Juden als Hintergrund für die wiederholte Erwähnung des Ursprungs von Jesu Wundern zu verstehen. Wir erfassen die Aussage also vollumfänglich positiv: Allah wollte ausdrücklich, dass Jesus diese Wunder vollbrachte und hat ihm die dazu notwendige Erlaubnis und Vollmacht bewusst erteilt.
Trotzdem schwingt eine richtende Note mit: Einmal mehr werden hier Juden, die Jesu Wunder als teuflischen Ursprungs einstufen und ihn deshalb nicht als den von Gott gesandten Messias akzeptieren, von Allah gerichtet. Ganz wie in Sure 4, Vers 159 angekündigt (siehe auch Al-i Imran 3:55), wird Jesus beim Jüngsten Gericht zum Zeugen gegen diejenigen, die ihn nicht als den von Gott gesandten Messias anerkannt haben.
Die ausdrückliche Erlaubnis Allahs erhöht Jesus über die anderen Gesandten
Aus dem weiteren Kontext der Gerichtsszene wird sofort klar, dass es sich beim Zusatz „mit meiner Erlaubnis” nicht um eine Abschwächung der Bedeutung von Jesu Person handelt, sondern dass diese Formel im Gegenteil gerade die Einzigartigkeit von Jesus hervorstreicht.
Diese Vorstellung Jesu vor allen Gesandten und deren Nachfolgern durch Gott findet während des Jüngsten Gerichts statt. Anlässlich dessen spricht Gott auch noch folgende Worte zur Verurteilung der Götzenanbeter und ihrer Götzen: '
Und am Tag (des Gerichts), da wir sie alle (zu uns) versammeln! Hierauf (wenn alles versammelt ist) sagen wir zu denen, die (in ihrem Erdenleben Allah andere Götter) beigesellt haben: "(Nehmt) euren Platz (ein), ihr und eure Teilhaber!" Und wir trennen sie voneinander. Ihre Teilhaber sagen: "Ihr habt (überhaupt) nicht uns verehrt. Allah genügt (dafür) als Zeuge zwischen uns und euch. Wir haben (überhaupt) nicht beachtet, daß ihr (uns) verehrt habt." Da (hunaalika) wird jeder zu kosten bekommen (tabluu), was er früher (in seinem Erdenleben) getan hat. Und sie werden vor Allah, ihren wahrhaftigen Herrn (maulaahum al-haqq), gebracht. Und ihnen ist, (dann) entschwunden (und zu nichts geworden), was sie (an lügnerischem Götzenglauben) ausgeheckt haben. "Sag: Wer beschert euch (den Lebensunterhalt) vom Himmel und (von) der Erde, oder wer vermag (euch) Gehör und Gesicht (zu verleihen)? Und wer bringt (in der Natur) das Lebendige aus dem Toten hervor, und das Tote aus dem Lebendigen? Und wer dirigiert den Logos (amr)?" Sie sagen: "Allah." Dann sag: "Wollt ihr denn nicht gottesfürchtig sein?" So (wie ihr ihn hier wirken seht) (zaalikum) ist Allah, euer wahrhaftiger Herr. Was gibt es aber, wenn man die Wahrheit erst einmal ausgeschaltet hat, (anderes) als den Irrtum? Wie, könnt ihr euch (vom rechten Weg) so abbringen lassen? So ist an denen, die freveln, das Wort deines Herrn in Erfüllung gegangen, (nämlich) daß sie nicht glauben werden.’ (Yunus 10:28-33).
Obwohl in Vers 31 nach dem Bericht über den Jüngsten Tag (Verse 28–30) der Fokus wieder auf Mohammed und seine Zuhörer gerichtet wird, entspricht der darin berichtete Inhalt genau der Erkenntnis der Götzenanbeter am Jüngsten Tag: Ihre Götzen sind machtlos gegenüber Gott:
(i) Nur Allah kann die Menschen vom Himmel und der Erde versorgen.
(ii) Nur Gott vermag Taube und Blinde zu heilen.
(iii) Nur Allah bestimmt über Leben und Tod, indem er Tote erweckt und Lebende sterben lässt.
(iv) Nur Gott sorgt für und lenkt alle Dinge.
Zur Zeit der Konfrontation der Götzenanbeter am Jüngsten Gericht sind noch „alle”, das heißt gläubige und ungläubige Menschen, vor Gott versammelt. Nach der Erkenntnis von Allahs Einzigartigkeit werden die Götzenanbeter wohl zur Vollstreckung der verdienten Strafe von den Gläubigen getrennt. Bei der Vorstellung Gottes von Jesus (Maide 5:109–120) sind vermutlich nur noch Gottes Gesandte und ihre Nachfolger anwesend. Die deutliche Botschaft von Gottes Einzigartigkeitsanspruch in den oben erwähnten vier Bereichen klingt noch in den Ohren der versammelten Gläubigen nach. Nun greift Gott nochmals jeden dieser vier Bereiche auf und deutet den Gesandten, dass Jesus mit Allahs ausdrücklicher Genehmigung in allen vier Bereichen aktiv war.
(i) Jesus hat von Gott einen Tisch vom Himmel erbeten und damit seine Nachfolger gespeist (Maide 5:112–115).
(ii) Jesus hat mit Allahs Erlaubnis Blinde und Aussätzige geheilt. Jesu Heilungswunder an Tauben werden im Koran zwar nicht erwähnt, sind aber aus dem Evangelium bekannt (siehe Mk 7,31–37; Mt 9,32–34).
(iii) Jesus hat mit Gottes Erlaubnis aus toter Materie (Lehm) lebendige Vögel erschaffen und Tote zum Leben erweckt. Dabei stimmt die Erschaffung der Vögel genau mit der Vorgehensweise Gottes bei der Erschaffung Adams überein.
(iv) Aus Al-i ʿImran 3:49 wissen wir bereits, auch wenn es an dieser Stelle nicht mehr erwähnt wird, dass Jesus den Menschen Kunde über ihre geheimen Taten gab. Damit wird deutlich, dass er über Wissen über alle Dinge verfügte: „... Und ich werde euch Kunde geben von dem, was ihr in euren Häusern eßt und aufspeichert (ohne es gesehen zu haben) ...”.
Den in Maide 5:110 anwesenden Gesandten und ihren Nachfolgern wird durch Gottes Aufzählung der an Jesus erwiesenen Gnaden bewusst, dass Jesus in allen vier Bereichen aktiv war, die ausschließlich Gottes Allmacht vorbehalten sind. Die Götzenanbeter erwiderten, dass nur Allah diese Dinge tun könne. Die Gesandten und ihre Nachfolger müssen nach dieser Aufzählung jedoch hinzufügen, dass auch Jesus diese Dinge tat, da ihm Gott ausdrücklich die Erlaubnis dazu gab.
Kein anderer Gesandter kann einen ähnlichen Anspruch für sich erheben. Im Koran werden dem Propheten Moses die meisten Wunder zugesprochen. Von ihm werden neun Wunder wiedergegeben, aber keines fällt in die oben erwähnten vier Allah vorbehaltenen Kategorien.
Aus dem Zusammenhang wird also ganz deutlich, dass Jesus schon auf Erden in allen Bereichen, die ausschließlich Gott zustehen, in gewissen Situationen stellvertretend für Gott gehandelt hat – und das in einem Ausmaß, das keinem anderen Gesandten Allahs erlaubt war. Diese Beobachtung wird durch Bakara 2:87 und 253 bestätigt. Dort werden die „offenkundigen Beweise” (baiyinaat) ja gerade als eines der Kennzeichen von Jesu Erhöhung über alle anderen Propheten aufgeführt.
Warum erwähnt Allah Jesu Wundertaten beim Jüngsten Gericht?
Zwei Fragen drängen sich auf: Erstens: Weshalb beteiligte Gott Jesus an all diesen Aktivitäten, die ihm vorbehalten waren? Und zweitens: Weshalb erinnert Gott die Anhänger aller Gesandten so eindrücklich an diese Tatsache?
Noch vor Adams Abstieg auf die Erde wird im Koran von einer ähnlichen Miteinbeziehung in Gottes Wirken berichtet: ‘Einst sprach dein Herr zu den Engeln: "Ich setze auf der Erde jemanden ein, dem ich die Herrschaft darüber verleihe" ...’ (Bakara 2:30; Azhar). Als „Statthalter Gottes” (Khalifa) soll Adam über die Erde regieren. Sayyid Qutb führt aus: ‘Gott beschloss in seiner unendlichen Weisheit, die Angelegenheiten und das Schicksal der Erde dem Menschen zu übergeben und ihm freie Hand zu lassen, alle ihre Energien und Ressourcen zu nutzen, zu entwickeln und zu verwandeln, um Gottes Willen und Zweck in der Schöpfung zu erfüllen und die ihm übertragene herausragende Mission auszuführen. Man kann also davon ausgehen, dass dem Menschen die Fähigkeit gegeben wurde, diese Verantwortung zu übernehmen, sowie die notwendigen latenten Fähigkeiten und Energien, um Gottes Absicht auf der Erde zu erfüllen.’10
In Maide 5:110 betont Gott am Jüngsten Gericht, dass er Jesus stellvertretend Autorität verliehen hat, um Taten zu wirken, die nur Allah vorbehalten sind. Hier wird wiederholt betont, dass Allah Jesus mit den notwendigen Fähigkeiten und Energien ausrüstete, „um Gottes Absicht auf der Erde zu erfüllen”. Indem Jesus nun ausdrücklich beauftragt wird, genauso wie Allah in dieser Welt zu wirken, wird er mehr als jeder andere Gesandte als von Gott bevollmächtigter, wahrer Stellvertreter Gottes auf der Erde hervorgehoben. So wie die Erwählung Adams, stellvertretend für Gott auf der Erde zu regieren, zeigt auch diese Aufzählung der stellvertretenden Taten, die Jesus an Gottes statt auf der Erde ausführen durfte, dass Jesus „in Gottes Augen hoch geschätzt wird und eine herausragende Stellung im System des Universums einnimmt, die ihm von Gott selbst verliehen wurde”11.
Beim Jüngsten Gericht betont Allah also vor allen versammelten Gesandten die Sonderstellung Jesu als Gottes Stellvertreter auf Erden. Noch umfassender als Adam, dem Gott erlaubte, bei der Benennung aller Dinge mitzuhelfen (Sure 2:33), wurde Jesus beauftragt, in allen vier Bereichen, die Allah vorbehalten sind, stellvertretend aktiv zu werden. Wie auch in Bakara 2:87 und 253 betont wird, hatten die von Jesus gewirkten Wunder nicht nur einen funktionalen Charakter und hätten jedem anderen Gesandten ebenso zugestanden. Vielmehr will Gott damit Jesus als über alle anderen Gesandten erhöht darstellen und auszeichnen. Allah zeichnet Jesus als seinen auserwählten Khalifen aus, indem er ihn bewusst stellvertretend befähigt, in ausschließlich Gott vorbehaltenen Aktivitäten aktiv zu werden. Mit der Erwähnung der von Jesus gewirkten Wunder und der Betonung von Gottes bewusster Bevollmächtigung Jesu, diese Wunder zu wirken, wird beim Jüngsten Gericht unmissverständlich deutlich, dass Jesus der von Allah erwählte Khalif unter allen Gesandten ist. Die Wunder haben durchaus Auswirkungen auf die Bedeutung der Person Jesus. Sie sind nicht nur von funktionaler Natur und weisen nicht ausschließlich auf die Allmacht Gottes hin. Die Wunder machen eine deutliche Aussage über Jesu Stellung in Allahs Plänen für die Menschheit.
Konsequenzen
Da bei der Namensgebung aller Dinge nur Adam an Gottes Handeln partizipieren durfte, akzeptierten die Engel Gottes Befehl, sich vor ihm niederzuwerfen und ihn damit als Gottes Kalifen anzuerkennen (Bakara 2:34). In Anbetracht der Tatsache, dass Jesus vor Allah mit Adam vergleichbar sei, als dieser noch Stellvertreter Gottes war (Al-i Imran 3:59), und dass diese Vorrangsposition deutlich hervorgehoben wird, indem sie zu Beginn der zweiten Schöpfung erwähnt wird, drängt sich der logische Schluss auf, dass Gott hier Jesus mit ähnlicher Absicht als eigenen Stellvertreter auszeichnet und vor allen Anwesenden bekannt macht, wie damals Adam. Genauso wie Adam in der ersten Schöpfung an Allahs Handeln teilnehmen konnte, was keinem Engel zugestanden wurde, und damit als Gottes Kalif auch über die Engel ausgezeichnet wurde, so wird hier Jesus gegenüber allen anwesenden Gesandten Gottes (einschliesslich der Engel) ausgezeichnet. Mit der Erinnerung an die Taten Jesu in der ersten Schöpfung, die alle mit expliziter Genehmigung Allahs ausgeführt wurden, deklariert Gott Jesus zu Beginn der zweiten Schöpfung unmissverständlich als seinen auserkorenen Kalifen.
Damit ist auch die zweite Frage bereits beantwortet. Indem Gott diese Wahl Jesu zum eigenen Stellvertreter so deutlich ausspricht, bleibt den anwesenden Gesandten und ihren Anhängern, wie damals den Engeln, keine andere Wahl, als sich gehorsam vor Jesus nieder zuwerfen. Als von Allah erwählter Stellvertreter schulden ihm alle echten Gesandten Allahs uneingeschränkten Gehorsam. Eine Verweigerung dieses Gehorsams käme in diesem Moment einer Auflehnung gegen die Wahl und den Willen Allahs gleich, wie sie uns von Satan gegenüber Adam bekannt ist. Man muss davon ausgehen, dass die Strafe für Gehorsamsverweigerung gegenüber Jesus derjenigen Strafe, die über Satan verhängt wurde, gleichkommen würde.
Ein Blick in das Evangelium zeigt, dass dort eine sehr ähnliche Aussage über Jesus getroffen wird: ‘Darum hat ihn [Jesus] auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.’ (Philipper 2:9-11). In Maide 5:110 erhöht Allah Jesus ebenso über alle anderen Wesen – Engel, Propheten und deren Anhänger eingeschlossen – und fordert beim Jüngsten Gericht von allen, sich Jesus im Gehorsam hinzugeben.
Der Engel, der Maria prophetische Kenntnis über das irdische Handeln Jesu gibt, weist auf den Zeichencharakter dieser Wundertaten hin: ‘... Darin liegt für euch ein Zeichen, wenn (anders) ihr gläubig seid’ (Al-i İmran 3:49). Die Wundertaten sind ein Zeichen für eine verborgene Wahrheit. Beim Jüngsten Gericht wird allen Gesandten und ihren Anhängern der Inhalt des Zeichens deutlich: Die Wundertaten deuteten bereits zu Lebzeiten Jesu auf die Tatsache hin, dass er Allahs Kalif in der zweiten Schöpfung sein wird.
Indem Gott auf die Gnaden hinweist, die er Jesus und seiner Mutter zu Lebzeiten erwiesen hat, wird den Versammelten bewusst, was sie bezüglich Jesus hätten erkennen und glauben sollen. Die „Gläubigen” unter ihnen verstanden bereits zu Lebzeiten, welche göttliche Botschaft sich hinter den von Jesus erwirkten Wundern verbarg (‘... Darin liegt für euch ein Zeichen, wenn (anders) ihr gläubig seid’ (Al-i İmran 3:49)). Sie konnten Jesus deshalb bereits zu Lebzeiten die von Gott geforderte Ehre erweisen. Für sie ist Allahs Offenbarung keine Überraschung. Anders verhält es sich bei allen anderen Anwesenden – nicht nur bei den Juden, die Jesu klare Zeichen ablehnen. Mit Schrecken müssen sie feststellen, dass ihre Reaktion auf Jesus während ihres irdischen Lebens der Reaktion Satans auf Adam am Anfang der ersten Schöpfung entspricht. Sie haben es in ihrem irdischen Leben verpasst, die Zeichen Gottes richtig zu deuten, und werden jetzt im Jüngsten Gericht für dieses Versagen zur Rechenschaft gezogen. Dies muss eine schreckliche Erfahrung für alle Betroffenen sein. Erkenntnis beim Jüngsten Gericht hilft nicht mehr, das ewige Urteil über sie zu ändern. Haben sie denn etwas anderes zu erwarten, als daß die Todesengel zu ihnen kommen (um sie dem Gericht zuzuführen), oder daß dein Herr kommt (um mit ihnen abzurechnen), oder daß etwas von den Zeichen deines Herrn (zur Ankündigung des jüngsten Tages über sie) kommt? Am Tag, da etwas von den Zeichen deines Herrn (über die Menschen) kommt, nützt keinem sein Glaube (etwas), der nicht (schon) vorher geglaubt oder in (fie) seinem Glauben Gutes begangen hat. Sag: Wartet (nur) ab! Wir warten (ebenfalls) ab.’ (Enam 6:158).
Nach dieser Klarstellung von Jesu Position in der zweiten Schöpfung lautet die entscheidende Frage: Wie hätte man während des irdischen Lebens korrekt auf Jesus reagieren müssen, um beim Jüngsten Gericht vor einem solchen bösen Erwachen verschont zu bleiben? Diese Frage werden wir in den nächsten Blogs beantworten.
1 Nach Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran-Sayyid, Eng-All Vol in 1 pdf zu Maide 5:110, s. 1337 in https://archive.org/details/QuranTafsirInTheShadeOfTheQuranSayyidQutbEngAllVolIn1Pdf (besucht 19/05/2023).
2 Da die den Wundern von Jesus später im Christentum zugeschriebene Bedeutung, ‘die Angehörigen dieser Religion auf den gefährlichen Weg geführt hat, ihm Gottheit zuzuschreiben, wird sowohl hier als auch in der Sura al-'Imrān häufig darauf hingewiesen, dass sie von der Erlaubnis des allmächtigen Gottes abhängen (siehe dazu al-'Imrān 3/49).’ (Kur'an Yolu Tefsiri Cilt: 2 zu Maide 5:110, ss. 360f. in https://kuran.diyanet.gov.tr/tefsir/%C3%82l-i%20%C4%B0mr%C3%A2n-suresi/342/49-ayet-tefsiri (besucht: 19/05/2023). ‘The Qur’an quotes him as saying that and mentions the phrase “by Gods leave” after every single one of them in order to emphasise that fact most strongly. That phrase could have been left to the end of the statement, but it was used repeatedly in order to leave absolutely no room for confusion.’ (Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 517).
3 Jesus ist nur ein menschlicher Prophet. ‘... alle übernatürlichen Phänomene, die er zeigt,’ wurden ihm nur von Allah ‘zur Verfügung gestellt ..., um die Behauptung zu untermauern, dass er eine Botschaft von Allah überbringt... ‘ (Koran Yolu Tefsiri, Cilt 1, ss. 577f. in https://kuran.diyanet.gov.tr/tefsir/%C3%82l-i%20%C4%B0mr%C3%A2n-suresi/342/49-ayet-tefsiri (besucht, 28/07/2025).
‘In essence, they are all particularly relevant to the birth of Jesus and the bringing of him into existence in a fashion which is unparalleled, except in the case of Adam. When people realise that God can enable one of His own creatures to accomplish such miracles, they will be able to understand that He Himself is able to create that creature in a totally unfamiliar fashion. There is, therefore, no need for any of the great legends and unfounded reports which have been woven around the birth of Jesus. It is sufficient for man to remember that God’s will remains free of all restrictions. When man does not try to impose what is familiar to him on the work of God, he will have no problem understanding how Jesus was born.’ (Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 517).
4 Siehe İLYAS ÇELEBİ, "SİHİR", TDV İslâm Ansiklopedisi, https://islamansiklopedisi.org.tr/sihir (20/05/2023).
5 ‘Ayet-i kerimedeki ‘Sihir" kelimesini, Hamza ve el-Kisai;: Sihirbaz, büyücü diye okumuşlardır. Yani, bu adam ancak oldukça güçlü bir sihirbaz olabilir, anlamındadır.’ (Tafsir Al Qurtubi zu Maide 5:110 in Al Qurtubi, Tafsir al-Qurtubi, Vol. 3, s. 1975. In https://archive.org/details/kurtubi-el-camiul-ahkamul-kuran/page/n1974/mode/1up?view=theater (besucht: 10/05/2023)).
6 Wiktionary-Bearbeiter. Beelzebub [Internet]. Wiktionary; 30. Dez. 2023, 19:07 UTC [zitiert am 8. Jul. 2024]. Verfügbar unter: https://de.wiktionary.org/w/index.php?title=Beelzebub&oldid=9930423
7 ‘Jesus the Nazarene is going out to be stoned because he practiced sorcery, incited people to idol worship, and led the Jewish people astray.’ (Sanhedrin 43 A in https://www.sefaria.org/Sanhedrin.43a.20?lang=bi&with=Reference%20ConnectionsList&lang2=en (besucht: 19/05/2023)).
8 '… our Christ, who made his appearance on earth in the midst of your people, and healed those who from birth were blind and deaf and lame. He cured them by his word, causing them to walk, to hear, and to see. By restoring the dead to life, he compelled the men of that day to recognize him. Yet though they [the Jews] witnessed these miraculous deeds with their own eyes, they attributed them to magical art; indeed they dared to call him a magician (magos), a deceiver of the people (laoplanos). (Justin, Dialogue, 69:6f. (St. Justin Martyr: Dialogue with Trypho, trans. Falls, pp. 108f.) cited in P. Schäfer, Jesus in the Talmud, ss. 150f.) 'According to Celsus (in Origen, “Contra Celsum,” i. 28) and to the Talmud (Shab. 104b), Jesus learned magic in Egypt and performed his miracles by means of it; the latter work, in addition, states that he cut the magic formulas into his skin. It does not mention, however, the nature of his magic performances (Tosef., Shab. xi. 4; Yer. Shab. 18d); but as it states that the disciples of Jesus healed the sick “in the name of Jesus Pandera” (Yer. Shab. 14d; Ab. Zarah 27b; Eccl. R. i. 8) it may be assumed that its author held the miracles of Jesus also to have been miraculous cures. Different in nature is the witchcraft attributed to Jesus in the “Toledot.” When Jesus was expelled from the circle of scholars, he is said to have returned secretly from Galilee to Jerusalem, where he inserted a parchment containing the “declared name of God” (“Shem ha-Meforash”), which was guarded in the Temple, into his skin, carried it away, and then, taking it out of his skin, he performed his miracles by its means.' (The Jewish Encyclopedia, s.v. “Jesus,” vol. VII, pp. 171–72 in https://archive.org/details/jewishencycloped07sing/page/171/mode/1up?view=theater (besucht: 19/05/2023)).
9 'The accusation of magic is frequently brought against Jesus. Jerome mentions it, quoting the Jews: "Magum vocant et Judtei Dominum meum" ("Ep. Iv., ad Asccllam," i. 196, ed. Vallarsi); Marcus, of the sect of the Valentiuians, Avas, according to Jerome, a native of Egypt, and was accused of being, like Jesus, a magician (Hilgenfeld, " Ketzer- gesch." p. 370, Leipsic, 18S4). There were even Christian heretics who looked upon the founder of their religion as a magician (Fabricius, in "Codex Apocr. NoviTestamenti," iii. 396), and public opinion at Rome accused all Christians of magic (W. M. Ramsay, "The Church in the Roman Empire Before A.D. 170," pp. 236, 392, London, 1897). The Apostles were regarded in the same light ... (The Jewish Encyclopedia, s.v. “Jesus,” vol. VII, pp. 171 in https://archive.org/details/jewishencycloped07sing/page/171/mode/1up?view=theater (besucht: 19/05/2023)).
10 Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 73.
11 Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 73.

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