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Jesu Leben und Wirken stehen im Zentrum beim Letzten Gericht

  • kesfetmekursu
  • 18. Juni
  • 8 Min. Lesezeit

Aus verständlichen Gründen spricht der Koran nur sehr wenig darüber, was Gott beim Jüngsten Gericht sagen wird (siehe beispielsweise Yunus 10:28–33).

Umso mehr Beachtung sollten wir daher Passagen schenken, die beanspruchen, Allahs Worte zu dieser Gelegenheit vorweg bekannt zu machen. In Sure 5, Verse 109–120 finden wir einen längeren Auszug aus Gottes Reden beim Jüngsten Gericht. Diese Stelle muss unser außerordentliches Interesse wecken: Für Gläubige wird ersichtlich, welche Prioritäten Allah bei der Beurteilung der Menschen setzt und welche Lektionen sich für die Gestaltung des irdischen Lebens daraus ziehen lassen. Für Ungläubige wird deutlich, welche grundlegenden Überzeugungen und Anliegen Mohammed vertrat.

Im vorletzten Blogbeitrag (Nr. 23) haben wir die Ansicht begründet, dass es in Maide 5:109–120 um die Wahl eines Fürsprechers für die Menschheit durch Gott im Jüngsten Gericht geht. Allah wählt Jesus aus der großen Schar seiner Gesandten für dieses Amt aus. Jesus behauptet mit Gottes Einverständnis, dass er sich dafür eignet, da er nur das spricht, was Gott wohlgefällig ist (Maide 5:116–117). Damit erfüllt Jesus beide Bedingungen, die der Koran an einen Fürsprecher stellt. Als einziger unter allen Gesandten bittet er Gott um Vergebung für seine Nachfolger (Maide 5:118). Dieser Bitte scheint Gott wohlgefällig nachzukommen (siehe Maide 5:119–120).

Innerhalb dieses äußeren Rahmens (siehe Blog 24, Punkte A), B), C) und D)) erfahren wir durch Gottes Aussagen (Maide 5:110–116), was über Jesus geglaubt werden soll und wie man korrekt auf ihn reagieren soll (ebd., Punkte AI und AII). Zunächst erstaunt die ausschließliche Fokusierung Allahs auf Jesus. Keiner der anderen anwesenden Propheten – es sind alle Gesandten Gottes versammelt – findet auch nur die kleinste Erwähnung in Allahs Rede beim letzten Gericht. Diese Ausschließlichkeit verlangt eine gründliche Erklärung: Weshalb spricht Gott ausschließlich über Jesus und darüber, wie Menschen ihm noch zu Lebzeiten korrekt hätten begegnen sollen (Verse 110-115)?


Gottes gegenüber Jesus erwiesene Gnade nicht Gottes Urteil über Christen steht im Zentrum

Muslimische Ausleger glauben, in der von den Christen nach der Himmelfahrt Jesu entwickelten Dreieinigkeitslehre die Antwort darauf zu finden, weshalb Jesus unter allen Gesandten auserwählt wird. Da um Jesu Person viele falsche Geschichten erfunden wurden, fokussiert sich Allah auf Jesus und seine Nachfolger. Die Absicht des Textes ist laut diesen Exegeten eine Korrektur des verfälschten christlichen Glaubens.1 Diese Korrektur wird nach ihrer Meinung vor allem in zwei Themen deutlich:

(1) Gott korrigiert die falsche Annahme, Jesu Wunder beweisen seine Göttlichkeit, indem wiederholt betont wird, dass Jesus diese Wunder nur dank Gottes ausdrücklicher Erlaubnis ausüben konnte, nicht aber aus eigener göttlicher Kraft. (2) Mit der provokativen Frage Allahs, ob Jesus für sich und seine Mutter Göttlichkeit beansprucht habe (Maide 5:116), und Jesu defensiver Antwort (Maide 5:116–118) wird die Trinitätslehre der Christen als falsch widerlegt.

Meiner Ansicht nach spiegelt diese Erklärung, warum Gott Jesus aus allen anderen Gesandten herausgepickt hat, den Inhalt von Maide 5:109–120 überhaupt nicht wider und steht auch sonst im Widerspruch zur Botschaft des Korans. Schließlich sind nicht nur Christen dafür bekannt, sich Geschichten über Propheten auszudenken und zu glauben. Falls es im vorliegenden Text wirklich die Absicht Allahs wäre, solche falschen Geschichten über seine Gesandten zu korrigieren, müssten an dieser Stelle wohl alle Propheten erwähnt werden. Haben nicht auch Juden (Tövbe 9:30) und sogar einige muslimische Sekten (z.B. Aleviten) gewisse Propheten vergöttert? So kündigt Sure 16:89 an, dass Allah nicht nur gegen Christen, sondern gegen alle Völker Zeugen auswählen wird: ‘Und am Tage, da Wir in jeglichem Volk einen Zeugen aus ihren eigenen Reihen gegen sie selbst erwecken werden, wollen Wir dich als Zeugen bringen gegen diese. Und Wir haben dir das Buch zur Erklärung aller Dinge herniedergesandt, und als Führung und Barmherzigkeit und frohe Botschaft für die Gottergebenen.’ Die Tatsache, dass alle anderen Propheten Allahs Frage „Welche Antworten habt ihr von euren Völkern bekommen?” aus Unwissenheit ablehnen (Maide 5:109), beweist, dass es sich hierbei nicht um die Wahl zum anklagenden Zeugen handelt, zu der Jesus auserwählt wird, sondern vielmehr, wie bereits dargelegt, um seine Wahl als Fürsprecher.

In Maide 5:109f. geht es überhaupt nicht vorrangig um eine Korrektur der Ansichten orthodoxer Christen über Jesus. Maide 5:110–111 ist dann auch keine „harte Auseinandersetzung”2 mit falschen christlichen Ansichten bezüglich Jesus, sondern zeigt vielmehr auf, welche Privilegien Jesus von Allah für seinen Dienst zugestanden wurden: „Jesus, Sohn der Maria! Gedenke meiner Gnade, die ich dir und deiner Mutter erwiesen habe“ (Maide 5:110a). Darauf folgt eine lange Aufzählung der erwiesenen Gnaden: Angefangen bei der Geburt, über die Ausrüstung mit dem Heiligen Geist während seines ganzen Lebens, die erhaltene allumfassende Offenbarung und die mit Gottes Erlaubnis gewirkten Wunder bis hin zur von Gott überwachten Reaktion der Menschen auf sein Wirken (Bewahrung vor den Gegnern, v. 110, und Offenbarung für die Nachfolger, v. 111). Die wiederholte Erwähnung, dass Jesus die Wunder mit der ausdrücklichen „Erlaubnis Allahs” (V. 110) wirkte, ist, anders als viele muslimische Ausleger glauben, nicht gegen Christen, sondern gegen „ungläubige Juden” gerichtet (siehe Ende von V. 110). Justin der Märtyrer (ca. 100–ca. 165 n. Chr.) weist bereits auf die jüdische Anschuldigung hin, dass Jesus die Wunder mit gottesfeindlichen Kräften, ja satanischer Magie bewirkt haben soll: „Christus, der auch in eurem [jüdischen] Volk erschien und diejenigen heilte, die von Geburt an verkrüppelt, taub und lahm waren, sodass sie durch sein Wort springen, hören und sehen konnten. Und indem er Tote auferweckte und sie zum Leben erweckte, zwang er durch seine Taten die Menschen, die zu dieser Zeit lebten, ihn anzuerkennen. Aber obwohl sie [die Juden] solche Werke sahen, behaupteten sie, es handele sich um Zauberkunst. Denn sie wagten es, ihn einen Zauberer und einen Betrüger des Volkes zu nennen.“3 Diese Ansicht der Juden prangert der Koran mit ganz ähnlichen Worten wie Justin an: ‘und (damals) als ich die Kinder Israel von dir zurückhielt (so daß sie dir nichts anhaben konnten), als du mit den klaren Beweisen (baiyinaat) zu ihnen kamst, worauf diejenigen von ihnen, die ungläubig waren, sagten: ‘Das ist ganz offensichtlich Zauberei’’ (Ende von v. 110). Demgegenüber betont Allah in Vers 110 wiederholt den rein göttlichen Ursprung von Jesu Wirken: Jesus heilte nicht mit satanischen Zauberkräften, sondern mit Allahs ausdrücklicher Erlaubnis. Die Wunder Jesu sind nicht satanischen, magischen Kräften zuzuschreiben, sondern haben göttlichen Ursprung und sind Zeichen von Allahs erwiesener Gnade gegenüber Jesus. Das Zielpublikum der wiederholten Erklärung „mit Allahs Erlaubnis” sind somit nicht die Christen, sondern die ungläubigen Juden. Nicht die falschen Glaubenssätze der Christen werden hier korrigiert, sondern die gnadenvolle Bevorzugung Jesu durch Allah wird betont. Aufgrund der erwähnten Wundertaten sollten die Juden zur Einsicht gelangen, dass Jesus der Messias Gottes ist. Stattdessen interpretieren sie diese offenkundigen Zeichen als Beweis für Jesu Zusammenarbeit mit Satan.


Selbst die vordergründig als Konfrontation erscheinende Frage Gottes in Maide 5:116 eröffnet letztlich Jesus die Möglichkeit, sich als geeigneter Fürsprecher vor Gott zu deklarieren. Über seine Fürsprache (Vers 118) führt sie zur Akzeptanz seiner Nachfolger im Paradies (Verse 119–120). Wie auch von muslimischen Auslegern eingeräumt wird, richtet sich die Spitze der Kritik in Maide 5:116 ohnehin nicht gegen die orthodoxe Lehre der Christen, sondern allenfalls gegen eine möglicherweise zur Zeit Mohammeds existierende kleine Sekte4, die mit ihren Ansichten bezüglich Maria weit von der orthodoxen Lehre abwich.

Alles in allem zeigt der Inhalt von Maide 5:110–118 nichts von der von vielen muslimischen Interpreten vorgeschlagenen Korrektur der Christen, sondern hebt Jesus im Gegenteil sehr wohlwollend aus der Gruppe aller übrigen Gesandten heraus. Wie eingangs in Maide 5:110 zusammengefasst, geht es Allah darum, die große Gnade hervorzuheben, die Er Jesus und seiner Mutter während deren Lebenszeit erwiesen hat, um damit Seine Wahl von Jesus als Fürsprecher für seine Nachfolger zu begründen.

Ansichten über Jesu Leben und Wirken stehen im Zentrum des Urteil Gottes im Jüngsten Gericht

Eine weitere Absicht Gottes mit der ausführlichen Vorstellung von Jesu Leben und Person vor allen Gesandten wird in Al-i İmran 3:55 bereits vorangekündigt.

Jesus steht im Zentrum beim Letzten Gericht
Jüngstes Gericht (Fra Angelico, CC BY-SA 4.0 ; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons"

Im Zusammenhang mit der Reaktion der Menschen auf das Wirken Jesu, seiner Abberufung von der Erde und seiner Erhöhung zu Gott verspricht Allah, ihre unterschiedlichen Ansichten bezüglich Jesu am Jüngsten Tag zu klären: „Dann ist eure Rückkehr zu Mir, und dann werde ICH zwischen euch richten über das, worüber ihr uneins zu sein pflegtet“ (Al-i ʿImran 3:55; Zaidan).5 In der Sura al-Maʿida 5:110–116 ist dieser Zeitpunkt nun gekommen, und Allah richtet die von einigen gehegten falschen Ansichten bezüglich Jesus. Allah gibt hier selbst die Auflösung des Rätsels, das Jesus aufgrund der unterschiedlichen Ansichten verschiedener Religionen während der Weltgeschichte umgab. Entgegen der Meinung muslimischer Interpreten wird jedoch nicht so sehr die Ansicht der Christen, sondern vielmehr die Auffassung der Juden von Jesus und, wie wir noch zeigen werden, vieler heutiger Muslime an den Pranger gestellt.

Damit bestätigt Maide 5:110–116 (siehe auch Al-i ʿImran 3:59 und Nisa 4:159) einmal mehr, welche zentrale Rolle Jesus beim Jüngsten Gericht zukommen wird. Wie in Nisa 4:159 bereits angedeutet, tritt Jesus in Maide 5:110–118 beim Jüngsten Gericht sowohl passiv (Verse 109–116) als auch aktiv (Verse 116–118) als Zeuge gegen die Leute der Schrift auf. Die korrekte Erfassung seiner Person und seines Werkes sowie die entsprechende Replik der Gläubigen noch während ihres Aufenthalts auf Erden stehen im Mittelpunkt von Gottes richterlicher Aktivität in der vorliegenden Passage. Die korrekte Erfassung Jesu bewirkt seine Fürsprache vor Gott, während eine falsche Einordnung der Zeichen Jesu zu seinem Zeugnis gegen die Leute der Schrift und somit zu Gottes Gericht führt. Beim Jüngsten Gericht scheint Jesu Anklage (Zeugnis gegen die Leute der Schrift) beziehungsweise seine Fürsprache für seine Nachfolger darüber zu entscheiden, ob ein Mensch von Gott ins Paradies aufgenommen wird oder nicht (vergleiche Verse 118–120). Die Ansichten, die Gott beim Jüngsten Gericht über Jesus vorbringt, sind also von absolut grundlegender Bedeutung für jeden, der sich Hoffnungen auf ein ewiges Leben im Paradies macht. Dabei handelt es sich um die „Wahrheit”, der man „wahrhaftig” bleiben muss, um von Allah in die Paradiesgärten eingeladen zu werden (Maide 5:119): „Dies ist der Tag, an dem die Anhänger der Wahrheit von ihrer Wahrhaftigkeit Nutzen ziehen werden. Für sie gibt es Paradiesgärten, unterhalb derer Flüsse fließen. Dort werden sie ewig bleiben. Gott ist zufrieden mit ihnen und sie sind zufrieden mit Gott. Das ist der größte Erfolg“ (Azhar).

In den kommenden Blogs wollen wir die Bereiche aus dem Leben Jesu identifizieren, die für Gott von solch großer Bedeutung sind, dass sie von Gläubigen unbedingt als Wahrheit akzeptiert werden sollten. Gegenüber diesen Bereichen ist es im irdischen Leben von absoluter Wichtigkeit, wahrhaftig zu bleiben, da sie die Grundlage fürs Letzte Gericht darstellen werden.


1 'Those messengers who were sent before the time of Jesus were believed by some

people and denied by others. Their account is thus completed with this general

answer that they give, leaving all knowledge to God and putting the whole matter

into His hands. Hence, the surah adds nothing here about them. The address is made

to Jesus alone, who was a total wonder to his people. It was Jesus who was

surrounded with mystery and around whom all sorts of myth and superstition have

circulated. A great deal of confusion has been made about his qualities, nature, birth

and end. … The account given in this surah addresses Jesus, son of Mary, in front of all those who attributed to him Divine status, worshipped him and weaved around him and his mother all sorts of exaggerated stories.' (Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 1336).

'It moves on to deal with the central issue of Godhead and Lordship, which permeates the whole passage. We go back now to that great scene which continues to be held up for all onlookers. We listen now to a straightforward questioning about the Divinity claimed for Jesus and his mother. The person now interrogated is none other than Jesus, facing those who worshipped him.' (Sayyid Qutb, In the Shade of the Quran, s. 1341)


2 So lautet die Überschrift zur Auslegung dieser Verse in Sayyid Qutbs In the Shadow of the Quran (s. 1337).

3 Justin der Märtyrer (ca. 100-ca.165 n. Chr.) in DIALOGUE WITH TRYPHO Chapter LXIX, in https://www.earlychristianwritings.com/text/justinmartyr-dialoguetrypho.html (besucht 20/03/2024).


4 'In der Zwischenzeit zeigen historische Informationen, dass eine häretische Gruppe von Christen in Arabien, die Collyridienes, Maria als eine Göttin anerkannten' (Kur'an Yolu Tefsiri Cilt:2,  ss. 366-367 in https://kuran.diyanet.gov.tr/tefsir/M%C3%A2ide-suresi/785/116-120-ayet-tefsiri (besucht: 20/03/2024)).


5 Aus dem Zusammenhang von Al-i ʿImran 3:55 geht eindeutig hervor, dass es um Uneinigkeiten bezüglich der Person und des Wirkens Jesu geht. Der Kontext beschreibt das Leben und Wirken Jesu, seine Abberufung von der Erde, seine Erhöhung zu Gott sowie seinen Auferstehungszustand bei Gott. Diejenigen, die an Jesu Abberufung von der Erde und Erhöhung zu Gott glauben, sind bis zum Endgericht über diejenigen erhöht, die dies nicht glauben. Beim Endgericht wird Gott die verbleibenden Uneinigkeiten richten.

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