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Mögliche Gründe für widersprüchliche muslimische Ansichten zu Jesu Tod

  • kesfetmekursu
  • 23. Feb. 2024
  • 7 Min. Lesezeit

Muslimische Ausleger

Wie oben beschrieben kommen muslimische Ausleger zu sehr widersprüchlichen Antworten auf die Frage bezüglich Jesu Tod. Einige verstehen den Koran so, dass Jesus bereits vor ca. 2000 Jahren gestorben sei, während andere die vorliegenden Texte zu Jesu Abberufung dahingehend interpretieren, dass Jesus erst am Ende der Zeit, kurz vor dem Endgericht, sterben wird. Andere wiederum kommen zum Schluss, dass Jesus nie einen natürlichen Tod erleben würde. Meiner Ansicht nach gibt es drei Hauptgründe für diese chaotische Lage: (i) Vernachlässigung vom Kontext: die Ausleger nehmen den Kontext und die angesprochene Zuhörerschaft in den vorliegenden Versen nicht genügend ernst. Zum Beispiel weiss man, dass die Aussagen in Al-i İmran 3:55 im Kontext des Besuchs einer Abordnung von arabischen Christen aus Nadschran gemacht wurden. Wenn man bei der Interpretation dieser Verse die Ansichten dieser Zuhörer im Bezug auf die Abberufung Jesu von dieser Erde miteinbeziehen würde, könnte man besser verstehen, worauf der Koran abzielt. Genauso wird aus dem Kontext der Verse in Nisa 4:157-159 deutlich klar, dass Muhammed mit Juden über die Kreuzigung Jesu spricht. Es handelt sich also nicht um eine Klarstellung oder gar Korrektur christlicher Vorstellungen, sondern es werden eindeutig jüdische Fehlwahrnehmungen zum Thema von Jesu Ableben thematisiert. Würde man zuerst die jüdische Ansicht bezüglich dieses Themas studieren, ergäbe Muhammeds Antwort viel mehr Sinn.

(ii) Vorschnelle Harmonisierung: Viele Ausleger sind sehr darauf bedacht, die vier verschiedenen Aussagen zu Jesu Abberufung von der Erde zu harmonisieren. Natürlich muss man davon ausgehen, dass die verschiedenen Koranaussagen zu Jesu Abberufung sich nicht gegenseitig widersprechen, das bedeutet aber nicht, dass man nicht genau hinhören muss, wie sich die Behandlung desselben Themas je nach Zielgruppe in Details verändert. Die Tatsache, dass der Koran das Thema von Jesu Abberufung sowohl gegenüber Christen (Al-i İmran 3:55) als auch gegenüber Juden (Nisa 4:157) aufbringt, muss als Vorteil ausgenutzt werden: wie reagiert der Koran auf die jeweiligen Vorstellungen der Zuhörer, welche vorhandenen Meinungen unterstützt er, welchen widerspricht er? Nur um ein Beispiel zu erwähnen: Es ist nicht zu übersehen, dass die Behandlung des Themas in 4:157-159 viel emotionaler geführt wird als in 3:55. Während in 4:157 die jüdische Vorstellung total abgelehnt und korrigiert wird – ihr habt nicht getötet noch gekreuzigt; ihr wisst die Wahrheit nicht; ihr seid im Zweifel – scheint der Koran die Meinung der Christen eher zu unterstützen: ‘… Und ich werde bewirken, daß diejenigen, die dir folgen, den Ungläubigen bis zum Tag der Auferstehung überlegen sind ...’ (Al-i İmran 3:55). Kein Wort davon, dass die Nachfolger Jesu fehlgeleitet sein könnten und durch Muhammed korrigiert werden müssten. Im Gegenteil, ‘bis zum Tag der Auferstehung’ (nicht: ‘bis zur Korrektur durch Muhammed’!) bewirkt ihre Nachfolge Überlegenheit gegenüber Ungläubigen. Auf Grund dieser Überlegungen ist es nicht sehr hilfreich, wenn in Kommentaren gar nicht erst der Versuch unternommen wird, die Aussagen des Korans im jeweiligen Kontext zu studieren, sondern – mit der Absicht zu harmonisieren – nur eine der oben angeführten vier Stellen bevorzugt berücksichtigt wird. So findet man zum Beispiel im Auslegungswerk auf der offiziellen Seite des Türkischen Ministeriums für religiöse Angelegenheiten unter dem Vers 3:55 bloss den folgenden, wenig hilfreichen Verweis: ‘Weil die Themen wie Jesu Leben auf der Erde zum Ende kam, und wie er zu Gott erhoben wurde, nahe mit den

Vorschnelle Harmonisierung

Behauptungen ihn getötet und ans Kreuz gehängt zu haben verwandt sind, werden sie im Zusammenhang mit Nisa Sure 155-158 behandelt werden’.1 Wenn man dann allerdings zum Eintrag unter Nisa 4:155-161 nachliest, wird nur abwertend bemerkt, dass die Aussage in Al-İmran 3:55 gegenüber der Aussage in Nisa 4:155-161 nicht wirklich aussagekräftig sei.2 Ein Versuch einer wirklichen Auslegung von 3:55 wird im ganzen Auslegungswerk nirgends auch nur annähernd gemacht. Die Aussage von 3:55 wird vollständig von den Versen in Nisa 4:155-161 überdeckt. Eine solche Art der Harmonisierung der beiden Texte kann kaum zu einem korrekten Verständnis des Themas beitragen.

(iii) Lokalisierung des hermeneutischen Zentrums: Die Nicht-Behandlung von Al-i İmran 3:55 im oben erwähnten Tefsir-Werk weist auf ein weiteres Problem hin: unter islamischen Auslegern hat man Nisa 4:157-159 zur Zentralaussage zum Thema von Jesu Abberufung erkoren. Die drei anderen Passagen werden sodann im Lichte von diesem hermeneutischen Zentrum her verstanden. Wie schon von vielen Kritikern dargelegt, müssen dabei eigentlich klare Aussagen mit vagen Hilfskonstruktionen umgedeutet werden. (a) Die Verben muteveffîke (Al-i İmran 3:55), teveffeytenî (Maide 5:117) und emûtu (Meryem 19:33) könnten alle ohne Probleme als Hinweis auf Jesu physischen Tod gedeutet werden. Emûtu (mawt) in Meryem 19:33 ist gar das im Koran normalerweise für Tod gebrauchte Wort.3 Muteveffîke (Al-i İmran 3:55) und teveffeytenî (Maide 5:117) gehen auf den Stamm w-f-y zurück, der 66 Mal vorkommt im Koran. Von den 66 Vorkommnissen sind 25 in derselben Form wie die Verben in 3:55 und 5:117. In den meisten dieser Verse ist ohne Zweifel vom physischen Tod die Rede, in einem Fall handelt es sich gar um den Tod von Muhammed (Mümin 40:774). Um Übereinstimmung mit der gängigen Interpretation von 4:157f. zu erzielen, werden diese Verben trotz im unmittelbaren Kontext fehlender Motivation als ‘einschlafen lassen’ oder ‘abberufen’ umgedeutet.(b) Die klare Abfolge Tod – Auferstehung – Erhöhung zu Gott in 3:55 und 19:33 wird im Lichte der Interpretation von 5:157f. in Frage gestellt und dahingehend abgändert, dass Jesus zuerst zu Gott erhöht, dann am Ende der Zeit auf Erden den Tod sehen wird und danach fürs letzte Gericht auferstehen wird: Erhöhung zu Gott – Tod – Auferstehung (– nochmalige Erhöhung zu Gott).

Diese Situation, drei klare Koranstellen vage umzudeuten zu müssen, nur um die Auslegung einer vierten Stelle zu rechtfertigen, ist nicht sehr befriedigend. Würde man umgekehrt Nisa 4:157-159 aus der Diskussion ausschliessen und nur die drei anderen Stellen berücksichtigen, würde die Darstellung von Jesu Ableben, wie sie ausführlich im Bericht des Evangeliums zu finden ist, auch vom Koran klar und deutlich unterstützt.

Hermeneutisches Zentrum

Gegen die Tendenz, Nisa 4:157-159 zum exegetischen Zentrum zu erheben, spricht weiter die Tatsache, dass es sich dabei ausgerechnet um die schwierigste und umstrittenste der vier Stellen handelt:(1) Die gängige Interpretation von Nisa 4:157-159 beruht ausschliesslich auf – gemäss Kritikern – nicht vertrauenswürdigen Hadisen5, aber geht nicht logisch aus der Behandlung des vorliegenden Textes hervor. Ein wirklicher Versuch einer grammatischen und linguistischen Interpretation wurde erst von al-Zamakhshari (d. 538/1144) versucht.6 Interessanterweise präsentierte er auf Grund seiner Methode eine sehr abweichende Interpretation zum gängigen Verständnis dieser Verse.7(2) Die Notlösung, die vorliegende Stelle Nisa 4:157-159 mit Hilfe von Hadis-Erzählungen zu verstehen, ist unter anderem bedingt durch das Vorkommnis eines Hapax Legomena8 in 4:1579: ‘Shubbiha lahum’. Dieser Ausdruck steht aber genau im Zentrum der Auslegung für das Verständnis des Verses. Es ist interessant die verschiedenen Übersetzungsversuche dieses Ausdrucks zu studieren: Von ziemlich neutraler, schlichter Wiedergabe der Bedeutung, ‘sondern es erschien ihnen bloß so’ (Sadr Ud-Din); bis zum traditionellen Verständnis – dazu müssen allerdings viele interpretatorische Zusätze angehängt werden (siehe Text in Klammern) - ‘Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so daß sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten)’ (R. Paret).

Auf Grund der obigen Ausführungen bräuchte es daher eigentlich triftige Gründe die Bevorzugung von Nisa 4:157-159 wirklich zu rechtfertigen. Viele Kommentatoren bleiben uns diese Gründe schuldig. Es ist mein Wunsch aufzuzeigen, dass unter Vermeidung der oben aufgeführten Fallen eine einheitliche Interpretation der vier Texte zu Jesu Abberufung von der Erde durchaus möglich ist. Da Nisa 4:155-161 im Zentrum der islamischen Interpretation zu diesem Thema steht, werden wir uns trotz den oben erwähnten Einwänden, diese Stelle zum exegetischen Zentrum zu erheben, dennoch zuerst diesem Abschnitt zuwenden.



1 Zur Auslegung von Al-i İmran 3:55 findet sich folgender Verweis: ‘Hz. Îsâ’nın dünya hayatının son bulması ve nezd-i ilâhîye yükseltilmesi konusu, onun öldürüldüğü ve çarmıha gerildiği iddiaları ile yakından ilgili olduğundan Nisâ sûresinin 155-158. âyetlerinin tefsirinde ele alınacaktır.’

(Kur'an Yolu Tefsiri Cilt: 1 Sayfa: 584-585 in https://kuran.diyanet.gov.tr/tefsir/%C3%82l-i%20%C4%B0mr%C3%A2n-suresi/348/55-ayet-tefsiri (besucht: 30/05/2023).

2 ‘Burada sayılanlar arasında yer alıp açıklanması gereken önemli bir tarihî vak‘a Hz. Îsâ’ya yönelik ihanet ve bunun sonucunda meydana gelen olaylardır. Gerçi Âl-i İmrân’da (3/55) Hz. Îsâ’nın “vefat ettirilmesi ve Allah nezdine kaldırılması” konusuna temas edilmiştir. Ancak orada da bu vefatın ve kaldırılmanın nasıl ve ne zaman olduğu konusunda açıklık yoktur. Burada açık olarak ifade edilen husus ise Hz. Îsâ’nın yahudiler tarafından katledilmediği ve aşağıda açıklanacak olan “salb” (çarmıha germe) olayının da Hz. Îsâ üzerinde gerçekleşmediğidir.’ (Kur'an Yolu Tefsiri Cilt: 2 Sayfa: 176-181 in https://kuran.diyanet.gov.tr/tefsir/Nis%C3%A2-suresi/648/155-161-ayet-tefsiri (besucht 27/10/2022)

3 Todd Lawson, Crucifixion, s. 40.

4 ‘Sei nun geduldig! Das Versprechen Allahs ist wahr (und wird in Erfüllung gehen). Wir mögen dir etwas von dem, was wir ihnen androhen, (noch persönlich) zeigen lassen oder dich abberufen [neteveffeyenneke] (ehe das Strafgericht hereinbricht). Zu uns werden sie so oder so (alle) zurückgebracht werden’ (Mümin 40:77).

5 ‘Research has been unable to produce any ahādīth on the crucifixion of Jesus which go back to the Prophet (ḥadīth nabawī), or of that category termed ḥadīth qudsī, i.e. ḥadīth which transmit the direct speech of God. The oldest authority for any tradition on the subject is Ibn ‘Abbās. Aside from the tafsīr attributed to him, later exegetes cite him as an authority for traditions about this verse.’ (Todd Lawson, Crucifixion, ss. 71f.). ‘For several reasons, the traditions associated with Ibn ‘Abbās are generally thought to be untrustworthy, at least as far as the ascription is concerned’ (Todd Lawson, Crucifixion, s. 78).‘By far the most popular versions of the substitution legend are related on the authority of Wahb. He is the Yemeni scholar of the earliest times who is best known for his knowledge of Judaism and Christianity. Ground-breaking scholarship on him and his literary legacy was published by Professor Khoury of Heidelberg. Wahb is the source of many traditions dealing with other biblical subjects and in modern times much of his exegetical and biblical tradition has been anathematized as “Isrā’īliyyāt”, that is, faulty knowledge foreign to Islam. In light of this, it is somewhat ironic that the most influential traditions denying that Jesus was crucified are traced to his authority. As the author of several books on various subjects, Wahb acquired a reputation that varied from trustworthy to “audacious liar.”’ (Todd Lawson, Crucifixion, ss. 74f.).

6 ‘We have seen an interest in grammar before with al-Zajjāj. But is is still true that no one before al-Zamakhsharī went into such detail on grammatical problems in their tafsīr.’ (Todd Lawson, Crucifixion, s. 153).

7 Mit seiner grammatisch-linguistischen Exegese widerspricht Al-Zamakhshari der traditionellen Interpretation basiert auf den Substitutionshadisen, indem er darlegt, dass der Vers nicht ausssagt, dass Jesus einer Person oder eine Person Jesus gleichgemacht wurde, sondern dass es bei dem, was den Juden verschleiert wurde, vielmehr um das Diskussionsthema, nämlich Jesu Kreuzigung, geht: ‘If it is “the affair” that is rendered obscure and not Jesus who is “made similar” to someone else or someone else who is “made similar” to Jesus, then this makes room for a break with the substitution legend and its use in solving the linguistic problem in the Qur’an.” (Todd Lawson, Crucifixion, s. 153).

8 ‘Linguistik: Wort, das (in einem bestimmten Textkorpus) nur einmal vorkommt. Herkunft: griechisch: ἃπαξ λεγόμενον (hapax legomenon) „nur einmal Gesagtes“’ (Wiktionary-Bearbeiter. Hapaxlegomenon [Internet]. Wiktionary, Das freie Wörterbuch; 28. Mär. 2021, 12:36 UTC [zitiert am 16. Nov. 2022]. Verfügbar unter: https://de.wiktionary.org/w/index.php?title=Hapaxlegomenon&oldid=8459666).

9 ‘This phrase represents the single Qur’anic usage of this form of the root. As an example of hapax legomenon, it is among some of the most controversial locutions in exegesis. This distinction should not be forgotten in the following chapters where lexical equivalents are rarely offered for shubbiha. All definitions of the verb have been obtained by deducing a general meaning of “substitution” from the legends [hadiths on substitution] .…’ (Todd Lawson, Crucifixion, s. 48).

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